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Rückseitenwetter ist der Liebling aller: die Fotografen freuen sich auf klare Sicht, die Halojünger auf die Feuchtigkeitsspritze in die elend trockene Luft. Neulich hatten wir 10% relLF bei -10° - das ist nichts, das ist Weltall!
Heute war uns das Wetter so gnädig, Herrn Monopoly (er heisst irl Schertenlaib, hat die Parkstrasse mit 40 Hotels, die Wasserwerke mit ca. 300 Schneekanonen und ungefähr alle Skilifte, die bei Monopoly fehlen) die Tal-Skikanonen für die aufzubauende Halfpipe einschalten zu lassen... und die spenden die Brosamen (trifft es besser als man zunächst glaubt) nach denen der einzige Halojünger vor Ort und die Abermillionen an ihren Bildschirmen lechzen.

Davos liegt hier selten früh (ca. 20°°) unter einen flachen (aber mitteldichten) Eisnebelschicht. Die Halfpipe wenig rechts unterhalb des Mondes im helleren Teil des Nebels. Oben am Brämabüel (für Davos-Kundige: Nebengipfel des Jakobshorns) leuchten zwei weitere "Lampen": Alle Schneekanonen in Betrieb leuchten ihren Auswurf hell an, damit man Strom-/Funktionsausfälle leicht vom Tal aus erkennen kann. Diese zwei Schneekanonen liefern immerhin so viele Kristallisationskeime, dass man schwach einen Umschriebenen Halo um den Mond erkennen kann ("Sprung" bei 10°° durch den Stich-Prozess: Das fast-lineare Superweitwinkel hat eine Geometrie, die sich nicht fehlerfrei stichten lässt) - und man sieht weit über dem dichten Tal-Eisnebel abgelöst schwache Kelche schweben... es verspricht spannend zu werden!

Wenig vorher habe ich von meinem Ausguck (auch Terrasse genannt) dieses erspäht. Keine Alarmstimmung, alles liegt/steht schon schon parat. Hier noch mit Zoom, aber nachher kommt das neue 14er SSW zum Einsatz. Alle Kameraeinstellungen schon geprobt.

DAS sind echt durchsichtige Sektkelche! Wenn Du denkst, dass Du alles beherrscht, lacht sich der Baumeister aller Welten ins Fäustchen... das vordere Stativbein sank langsam in den Schnee auf der Dachterrasse (betrifft beide oberen Bilder)... Rechtzeitig gemerkt, Auge drauf. Los geht es auf die Jagd nach dem dichtesten Nebel da unten. Bis ich mit dem Auto dort bin, ist er woanders, aber ich kenne ja seine Zugwege.

Ich habe ihn jetzt sozusagen überholt und lasse ihn auf mich zukommen, blicke auf Davos zurück. Ich bin aber zu nahe - Sektkelche werden um so schöner, je weiter man von ihnen weg ist!! Wenn man auf sie zufährt, um sie "noch schöner" zu fotografieren, schneidet man sich ins eigene Fleisch.

Der ganze tief(st)e Teil des Davoser Beckens, also sein Kaltluftsee, füllen sich mit Haloaktivität - hier beste reine Säulchen

Naja, wenn die SGHs (Sektglashalos) eine Geburt von Säulchen sind, was erwarten wir dann beim Blick auf den hoch stehenden Mond? Das hier - einen unerwartet reinfarbigen Umschriebenen Halo ohne nix, kein 22° oder so: völlig reine einfach orientierte Bleistiftsuppe ohne Störgeräusche. Einen so reinfarbigen UH habe ich noch nie gesehen, bin etwas beeindruckt. Da ich aber jetzt am (zurzeit) äussersten Rand des Diamond Dusts bin, fahre ich wieder ein wenig zurück zur momentan dichtesten Stelle - und genau wissend, dass ich dort diese Reinfarbigkeit nicht mehr finden werde: Ihr werdet es später verstehen.

Ich sah den Mond, ich sah die hellen Scheinwerfer für die Nachtloipe - das rief geradezu nach einer Vereinigung ihrer beiden Halos. Und hier ist er: der Sektglashalo mit Cocktailkirsche und Schirmchen....
Und genau hingucken: ein schwacher Horizontalkreis im inneren Bereich ist erkennbar: das sind die kleinen Stirnflächen der Säulchen.

Der Umschriebene Halo ist dermassen schwer, dass er noch von weiteren Kelchen gestützt werden muss... (schräge Winkel durch das Superweitwinkel)
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Und jetzt das take away und das think over: Was hier so schön statisch aussieht - vom leicht vor sich hin wabernden Diamond Dust abgesehen - ist sowohl hoch dynamisch als auch unerwartet komplex:
Die uns gnädigen Erzeuger von allem sind natürlich als Auslöser des Geschehens die Schneekanonen:

Was sieht man hier? Flockiges weisses Etwas in der Luft. Halos? Nichts davon. Hinweis: In unsauberen Halobedingungen sieht man - wenn man ganz nahe an der Lichtquelle ist!! - nichts ausser dem Lichtkreuz: rudimetentäre Lichtsäulen- und Horizontalkreisansätze. In der direkten Umgebung der Schneekanonen gibt es nur Eiskügelchen: 99% sinken zu Boden und die 1% mikroskopisch kleinsten schweben davon: unsere Lieblinge.

Erstaunlich schnell wachsen auf diesen winzigen amorphen Weltenbummlern regelmässig geformte Kristalle heran, und so ca. nach fünf Minuten sieht man dann die ersten "schlampigen" Halos wie hier.
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So hängt also alles zusammen:
Bei den Schneekanonen: keinerlei Halos
Nach 5min Drift: schlampiger 22°-Halo
Nach 15min Drift: 22°-Halo und sauber getrennter weisser Umschriebener Halo
Nach 20min Drift: kein 22°-Halo mehr, aber superklarer farbiger Umschriebener Halo
Und dann kommt noch etwas dazu - trainiere das Auge!

Was ist das für ein weisser Strich im Kelch? Mein erster Gedanke war, dass ich gar kein OBB-Sektglas sehe, sondern ein Moilanen-Sektglas (gab es hier schon überdeutlich, aber nur zusammen mit OBB-Sektglas, nicht einzeln). Von den Winkeln her - beachte die 22° des 22°-Halos - passt das aber nicht. Zurzeit denke ich, dass es eine Doppelspiegelung an einfach orientierten (heisst waagerecht, aber rotierenden) Säulchen ist. Hat jemand ein Argument dafür oder dagegen?
LG Bertram