die Bahnebene der ISS ist um 51° gegen den Erdäquator geneigt. Dadurch kann diese in der Zeit um die Sonnenwenden so dicht am Terminator liegen, dass sich die Raumstation mehrere Tage ununterbrochen im Sonnenlicht befindet. Sie ist dann in den mittleren Breiten der Erdhalbkugel, welche gerade Sommer hat, bei jedem nächtlichen Überflug sichtbar. In der Regel findet dieser "ISS-Marathon" auf der Nordhalbkugel im Juni statt. Da das Fenster, in dem er möglich ist, einerseits etwa 2 Monate umfasst (Mitte Mai bis Mitte Juli) und die ISS-Bahn andererseits die gleiche Zeitspanne für eine Rotation benötigt, ist es zumindest denkbar, dass einem ISS-Marathon im Mai ein weiterer im Juli folgt.
Da die ISS in der fraglichen Zeitspanne in unseren Breiten bei jedem Überflug sichtbar ist, kann sie für mehrere Tage sowohl am Abend- als auch am Morgenhimmel beobachtet werden. In der Regel bringt es die Station dann auf 4 sichtbare Überflüge pro Nacht. Da der Abstand zwischen zwei Überflügen 96 Minuten beträgt und zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang Mitte Juni auf 50° N etwa 7.5 Stunden vergehen, ist rein rechnerisch sogar Zeit für 5 Überflüge. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der erste und der letzte Überflug einer Nacht relativ horizontnah stattfinden, wobei die ISS ihre maximale Helligkeit deutlich verfehlt. Sie ist dann nur sichtbar, wenn die Sonne mindestens 4 Grad unter dem Horizont steht. Aufgrund der im Sommer sehr langen Dämmerungsphasen verkürzt sich somit der Zeitraum, in dem ISS-Überflüge beobachtet werden können, auf etwa 6.5 Stunden. Demnach sind 5 sichtbare Überflüge in einer Nacht nördlich des 50. Breitengrades kaum möglich. Je weiter südlich man sich aufhält desto besser sind die Chancen. Südlich des 40. Breitengrades ist man in der Mitte der Nacht zu weit vom Terminator entfernt, um die Station sehen zu können - sie kommt nicht mehr über den nördlichen Horizont.
Da Bonn auf 50°40' N liegt, sind 5 Überflüge hier allenfalls unter außergewöhnlich günstigen Umständen sichtbar. Diese waren in der Nacht vom 26. auf den 27.06.2010 durchaus gegeben, wie die folgenden Daten zeigen:
1. Überflug: 22:28 MESZ; Überflughöhe 23°; Helligkeit -2.4 mag; Sonnendepression - 5.3°
2. Überflug: 00:03 MESZ; Überflughöhe 84°; Helligkeit -3.7 mag; Sonnendepression -13.2°
3. Überflug: 01:39 MESZ; Überflughöhe 71°; Helligkeit -3.4 mag; Sonnendepression -15.9°
4. Überflug: 03:14 MESZ; Überflughöhe 46°; Helligkeit -3.4 mag; Sonnendepression -12.8°
5. Überflug: 04:49 MESZ; Überflughöhe 10°; Helligkeit -2.0 mag; Sonnendepression - 4,5°
Trotzdem gelang es nicht, den 5. Überflug zu beobachten. Gegen Morgen war ganz leichter Nebel aufgekommen, und das reichte aus, um die ISS am schon hellen Dämmerungshimmel zu verschlucken. Da nutzte es auch nichts, dass der Mond als Wegweiser direkt neben der Flugbahn der Raumstation stand und dass ich mit dem Fernglas beobachtet habe. Als Fazit bleibt, dass Bonn für die Beobachtung von 5 ISS-Überflügen in einer Nacht wahrscheinlich doch schon etwas zu weit nördlich liegt.
Trotzdem hat sich das lange Aufbleiben mehr als gelohnt, denn es gab neben der ISS noch 2 helle Iridiumflares und den Aufgang des Vollmonds über dem Siebengebirge zu bewundern. Die zweite Nachthälfte verbrachte ich vorwiegend vor dem Fernseher, wo eine Star Trek-Folge nach der anderen lief; nur für die Satelliten-Beobachtungen ging ich kurz raus. Star Trek war so spannend, dass ich ganz vergaß, nach Leuchtenden Nachtwolken Ausschau zu halten.
Und hier kommen die Fotos aus der "Nacht der Raumstation", alle aufgenommen mit einer Panasonic DMC-FZ18:
Abb. 1: Aufgang des Vollmonds über dem Siebengebirge; Brennweite 45mm, F/3.6, ISO 100, 1/2s, 26.06.10, 22:25 MESZ. Aufgenommen am Bonner Rheinufer.
Abb. 2: Erster Überflug der ISS (oben in der Mitte); Brennweite 8mm, F/3.2, ISO 100, 1s, 26.06.10, 22:28 MESZ. Aufgenommen am Bonner Rheinufer.
Abb. 3: Erster Überflug der ISS (oben in der Mitte); Brennweite 8mm, F/3.2, ISO 100, 4s, 26.06.10, 22:29 MESZ; Helligkeit und Gamma korrigiert. Aufgenommen am Bonner Rheinufer.
Abb. 4: Vollmonds mit Siebengebirge, "Langem Eugen" und Post-Tower; Brennweite 13mm, F/3.2, ISO 100, 1s, 26.06.10, 22:35 MESZ. Aufgenommen am Bonner Rheinufer.
Abb. 5: Zweiter Überflug der ISS; Brennweite 5mm, F/2.8, ISO 100, 60s, 27.06.10, 00:02 MESZ. Aufgenommen in der Bonner Südstadt.
Abb. 6: Flare (-8 mag) von Iridium 47; Brennweite 5mm, F/2.8, ISO 100, 60s, 27.06.10, 00:06 MESZ. Aufgenommen in der Bonner Südstadt.
Abb. 7: Dritter Überflug der ISS; Brennweite 5mm, F/2.8, ISO 100, 60s, 27.06.10, 01:38 MESZ. Aufgenommen in der Bonner Innenstadt.
Abb. 8: Flare (-8 mag) von Iridium 90; Brennweite 5mm, F/2.8, ISO 100, 60s, 27.06.10, 01:41 MESZ; Bildausschnitt. Aufgenommen in der Bonner Innenstadt.
Abb. 9: Vierter Überflug der ISS; Brennweite 5mm, F/2.8, ISO 100, 60s, 27.06.10, 03:14 MESZ. Aufgenommen in der Bonner Innenstadt.
Im Jahr 2011 wird der ISS-Marathon Mitte Juni stattfinden; vom 12./13.06. bis 17./18.06.11 wird es in jeder Nacht 4 sichtbare Überflüge der ISS geben. Mitten in diesen Zeitraum fällt die totale Mondfinsternis am Abend des 15.06.2011. Hoffen wir, dass die Wetterbedingungen dann wieder so gut sind wie am 26./27.06.2010.
Viele Grüße aus Bonn!
Stefan