NLCs - Allsky-Display

Forum für Leuchtende Nachtwolken (NLC)

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StefanK
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NLCs - Allsky-Display

Beitrag von StefanK » 26. Aug 2014, 21:36

Hallo zusammen,

nach allgemein akzeptierter Meinung sind NLCs erst bei einer Sonnendepression von mindestens 6° sichtbar. In Ausnahmefällen waren sehr helle Strukturen auch einmal bei 5° gerade noch erkennbar. Doch ein Allsky-Display sollte eigentlich nicht möglich sein, weil bei einer Sonnendepression von 6° NLCs, welche deutlich weiter als 10° südlich des Zeniths stehen, sich bereits im Erdschatten befinden. Zur Verdeutlichung noch einmal eine bereits mehrfach gezeigte Grafik:

Bild

Nun wurden alleine in dieser Saison in Deutschland 3 Displays beobachtet, welche teils deutlich weiter nach Süden reichten.
19./20.07.2014: 120°
21./22.07.2014: 150°
27./28.07.2014: 160°

Ein gerade veröffentliches Video aus Schweden (ebenfalls aus der Nacht 27./28.07.2014) zeigt nun ein wirklich bis zum Südhorizont reichendes Display, welches lange anhielt und offenbar über den gesamten Himmel recht leuchtkräftig war:
https://www.youtube.com/watch?v=8jRwYVrk0bs (Video ist auch ästhetisch ein Genuss!)

Irgendwas stimmt also mit der Theorie nicht. Dass bei einer Sonnendepression von weniger als 6° ein solches Display nun wirklich nicht sichtbar wäre, dürfte feststehen. Noch nie wurde bei (visuell sichtbaren) NLCs eine andere Höhe als 82.5 +/- km gemessen. Demnach müsste m.E. auch die Erdschattenregel, welche obigem Diagramm zu Grunde liegt, unumstößlich sein. Ergo: Beobachtungen wie am 21./22.07.2014 und vor allem am 27./28.07.2014 kann es gar nicht geben.

Gesucht: Eine Erklärung, welche die Theorie wieder mit der Realität in Einklang bringt ...

Viele Grüße aus Bonn,

Stefan
Alles über Leuchtende Nachtwolken: http://www.leuchtende-nachtwolken.info/

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Laura Kranich
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Re: NLCs - Allsky-Display

Beitrag von Laura Kranich » 26. Aug 2014, 23:11

Uhh spannend!
Hallo Stefan!

Eigentlich wollte ich jetzt nicht mehr, aber zu dem Thema muss ich nun doch noch etwas loswerden.

Ich habe ja auch eine solche Beobachtung dieses Jahr gemacht und habe dazu meine eigene Theorie, die meiner Ansicht nach die bestehende nicht wirklich umstößt.

Das von dir verlinkte Video zeigt die NLCs ja nicht wirklich bis zum Südhorizont (da sind auch ein paar troposphärische Wolken zu sehen, siehe Zugrichtung), auch ich habe sie nicht bis ganz hinunter zum Südhorizont beobachtet. Außerdem wandert das Display erst nach Süden und ist dort nicht die ganze Zeit über zu sehen. Gleichzeitig werden bei immer fortschreitender südlicher Ausdehnung die Konturen generell schwächer, besonders in Sonnennähe nimmt der Kontrast am stärksten ab. So konnte ich bei meinen Beobachtungen auch zu dem Zeitpunkt an dem die NLCs am weitesten südlich standen kaum noch Konturen über dem Nordhorizont ausmachen.

Also hat sich einfach der gesamte Bereich der Beobachtbarkeit (am Himmel) weiter nach Süden verschoben, damit sind sie am südlichen Teil des Firmaments besser sichtbar als in Blickrichtung Norden. Wobei weiter nördlich ja die Dichte der NLCs tendentiell höher ist, sodass sie vielleicht auch dort einfach noch etwas länger beobachtet werden konnten. Ich habe sie jedenfalls definitiv schon bei einem Sonnenstand über -6° beobachtet, wenn auch nur wenige Minuten lang.

Und am Südhimmel geht es dann vermutlich noch ein wenig länger, da ja dort die Atmosphäre noch nicht so stark ausgeleuchtet ist. Ich habe schon Bilder gesehen bei denen die Strukturen am Südhimmel noch besser herauskamen, bei meinem All-Sky-Display Ende Juli war es ja leider ein wenig diesig. Sie waren dennoch eindeutig recht horizontnah am Südhimmel zu sehen, während es in Richtung Norden so gut wie nichts mehr zu sehen gab und bei klarem Himmel ist der Unterschied in der Ausleuchtung von Nord- und Südhimmel vermutlich ausreichend für eine Beobachtbarkeit bei nennenswert weniger als 6° Sonnendepression - aber nur am Südhimmel.

Sonst fällt mir noch der Refraktionseffekt durch den Dichtegradienten der Atmosphäre ein, der ja dafür sorgt, dass horizontnahe Objekte höher zu stehen scheinen als sie es wirklich tun. Das Sonnenlicht dürfte also etwas weiter nach Süden refraktiert (ich spreche nicht von Streuung, die käme vielleicht auch noch dazu!) werden und so einen etwas größeren Teil des Himmels ausleuchten als durch die schiere Geometrie von Sonne und Erde zu erwarten wäre. Allerdings kann der Effekt nicht wirklich groß und wird somit wohl auch eher vernachlässigbar sein, weil die Atmosphäre ja gegenüber dem Vakuum des Weltalls nicht wirklich besonders dicht ist.

Was meint ihr?

Beste Grüße,
Chris
Viele Grüße aus Berlin,
Laura

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Laura Kranich
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Re: NLCs - Allsky-Display

Beitrag von Laura Kranich » 26. Aug 2014, 23:27

Also ich habe nochmal geschaut und meine Beobachtung am Morgen des 28.07. dauerte bis 4:55 MESZ. Da stand die Sonne etwa 4 Grad unter dem Horizont.
Also ist 6 Grad einfach ein falscher Wert als Grenzgröße. Ich würde aber sagen, dass tiefer als 20 Grad über dem Südhorizont nicht möglich ist und das wäre etwa bei 3-4 Grad Sonnendepression möglich. Aber ich will es auch nicht ausschließen, vielleicht geht bei sehr klaren Sichterhältnissen auch noch mehr.
Viele Grüße aus Berlin,
Laura

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Claudia Hinz
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Re: NLCs - Allsky-Display

Beitrag von Claudia Hinz » 27. Aug 2014, 05:55

Hallo,

zum Halotreffen 2006 im finnischen Artjärvi gab es ebenfalls ein NLC-Display über den gesamten Himmel. Wir Mitteleuropäer dachten erst an Cirruswolken, als sich die NLC von Süd nach Nord ausbreiteten, weil wir so etwas noch nie gesehen hatten (Nord - Ost -Süd). Auf jeden Fall sollte es möglich sein, die Sonnentiefe des ersten Auftretens berechnen zu können, ich glaube mich nämlich zu erinnern, daß sie im Süden relativ bald nach Sonnenuntergang auftraten.

Auch 1998 gab es während dem EM-Fußballspiel Deutschland-Jugoslawien (kurz vor dem Eigentor von den Jugos, welches Deutschland zum Unentschieden rettete) zenitnahe Leuchtende Nachtwolken bis nach Sachsen, die ebenfalls von oben nach unten wanderten. Allerdings ist es da schwierig, die Sonnentiefe zu berechnen, da die Bilder noch als Dia vorliegen.

Ansonsten gebe ich Chris recht, mein erster Gedanke ging auch in Richtung Refraktion. Man müßte den Refraktionseffekt in dieser Höhe mal ausrechnen, aber ich denke, die Lichtbrechung der Atmosphäre und vielleicht zusätzliche Streeungseffekte sollten die Hauptursache sein. Außerdem muß man den Ort mit Sonnenhöhe betrachten, über dem die NLC entstehen. Wenn die Süd-NLC von Finnland vielleicht über Norddeutschland entstanden sind, könnte dort die Sonnentiefe bereits viel größer gewesen sein.

Viele Grüße
Claudia

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StefanK
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Re: NLCs - Allsky-Display

Beitrag von StefanK » 27. Aug 2014, 18:44

Hallo Claudia, hallo Chris,

die eindeutige Aussage, dass Chris' Display noch bei einer Sonnendepression von 4° sichtbar war, dürfte die beobachteten (fast) Allsky-Displays hinreichend erklären. Ich denke schon, dass der "Literatur-Wert" 6° prinzipiell korrekt ist. NLCs stehen ja nun meistens im Dämmerungsbogen und dort ist beim Übergang bürgerliche/nautische Dämmerung wirklich das Ende der Sichtbarkeit erreicht. Davon konnte ich mich bei dem hellen Display am 03./04.07.2014 selbst überzeugen; ich habe an dem Morgen gezielt darauf geachtet. Auf der dem Dämmerungsbogen gegenüberliegenden Himmelsseite ist es bei 6° Sonnendepression schon/noch deutlich dunkler. Ich finde, dass ist eine plausible Erklärung und letztlich nur ein Ausnahmefall von der Faustregel. Auch die maximale Sichtbarkeit bis -16° Sonnendepression kann offenbar in Ausnahmefällen gebrochen werden. Ich habe mir noch mal die Arbeit von Andreas Wünsche angeschaut; theoretisch ist erst bei -18° (Ende der astronomischen Dämmerung) Schluss. Praktisch wird das in Folge der starken Extinktion und der selten absolut dunst- und staubfreien Luft kaum möglich sein; -17° halte ich aber für denkbar und meine ich auch schon mal in alten AKM-/Schröder-Auswertungen gesehen zu haben.
Refraktion möchte ich ausschließen: Die Standard-Refraktion am Horizont beträgt 0.5°, in Ausnahmefällen werden insbesondere in sehr hohen nördlichen Breiten auch einmal 2 oder 3 Grad erreicht. Vom Horizont nach oben nimmt die Stärke der Refraktion nicht linear, sondern deutlich stärker (vermutlich exponentiell) ab.
Wenn NLCs z.B. von Kiel aus im Süden beobachtet werden, ist der Dämmerungsgrad an dem Ort, über dem diese Wolken, schon/noch größer. Das macht sich am Ort des Beobachters eben durch den in diese Sichtrichtung dunkleren Himmel bemerkbar. Insofern ist Claudias Erklärung mit der von Chris identisch, aber eben anders formuliert.

Ich habe gerade mal auf meinen eigenen NLC-Seiten geschaut (http://www.leuchtende-nachtwolken.info/beobachtung.htm) - da steht brav die Lehrbuch-Formulierung:
Generell sind Leuchtende Nachtwolken nur dann sichtbar, wenn die Sonne sich mindestens 6 und höchstens 16 Grad unter dem Horizont befindet.
Was haltet Ihr von der Ergänzung: In Ausnahmefällen können NLCs auch bei etwas geringerer Sonnendepression (ab etwa 4°) beobachtet werden, dann jedoch nur im Bereich oberhalb des Südhorizonts. Ebenso sind sie in sehr seltenen Fällen (vollkommen klare Luft am Horizont) bis zu einer Sonnendepression von 18° am Nordhorizont sichtbar.

Dabei geht mir gerade durch den Kopf, dass früh in der Abenddämmerung nahe des Südhorizonts auftauchende NLCs gut Chancen haben, übersehen zu werden. Zum einen beginnt man seine Beobachtung zumeist ja nicht so früh und zum anderen richtet sich die Aufmerksamkeit zumeist nach Norden. Ich habe mir zwar angewöhnt, bei Ende der bürgerlichen Dämmerung mal Richtung Zenith zu blicken, bin aber noch nie auf die Idee gekommen, den Südhorizont gezielt nach NCLs abzusuchen. Zumindest im Norden Deutschlands macht das offenbar doch Sinn.

Viele Grüße aus Bonn,

Stefan
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