Theoretische Frage zum Horizontalkreis

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Thomas Klein
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Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Thomas Klein » 10. Apr 2018, 18:47

Hallo zusammen,

heute im Zug habe ich über dieses und jenes nachgedacht und habe dabei einen Gedanken gefasst, den ich nicht ganz zu Ende denken kann.
Ein Horizontalkreis entsteht ja durch die Spiegelung an einer Seitenfläche eines Plättchens oder einfach orientierten Säulchens. Dabei ist mir erstens aufgefallen, dass ich aus dem Stehgreif keine Sichtung eines Horizontalkreises bei einer Sonnenhöhe von 0 bis ~10° kenne, zumindest in Cirrus. Außerdem kam mir dann zweitens der Gedanke, wie das denn bei so geringer Sonnenhöhe abläuft. Denn bei einer Sonnenhöhe von 5° werden dafür ja Kristalle in großer Entfernung benötigt. Wenn die Kristalle aber 200km (Entfernung willkürlich gewählt) weit vom Beobachter entfernt sind, haben diese durch die Erdkrümmung doch einen gemeinsamen Tilt, welcher für eine systematische Ablenkung des Lichts sorgen sollte, oder?

Ich habe versucht, meinen Gedanken mal anhand einer Skizze zu verdeutlichen:

20180410_204125_klein.jpg

Die beiden Kristalle in der Mitte sollen den normalen Strahlengang bei hohem Sonnenstand verdeutlichen, der Beobachter sieht den Horizontalkreis. Die beiden äußeren Kristalle sollen weit entfernt vom Beobachter sein und haben einen Tilt alpha gemäß der Erdkrümmung. Bei gleicher Wolkenhöhe würde das Licht dann in dem Punkt mit dem "?" zusammentreffen, sodass von diesen Kristallen kein Horizontalkreis am Beobachtunsort zu sehen ist. Erst wenn man die Kristalle ein Stücken weiter unten (grün gestrichelte Linie) betrachtet, würde wieder ein HZK zusehen sein. Die Frage ist jetzt, hat die Erdkrümmung einen Einfluss auf die Sichtbarkeit des Horizontalkreises? Wenn die Kristalle tiefer sind, würde sich nach meinem Gedanken ja auch die visuelle Höhe über dem Horizont ändern. Der Durchmesser des HZK hängt doch vom Aufspannwinkel der Raute in der Ebene bzw. des Doppelkegels im Raum ab und wenn man die Winkel beta(1) und beta(2) betrachtet, ändert sich dieser Winkel doch bei steigendem Tilt.

Mein Lösungsansatz wäre, dass sich durch die Erdkrümmung auch die relative Wolkenhöhe ändert und sich der Effekt mit dem Tilt somit irgendwie ausgleicht, aber ob das stimmt und wie genau das geht, weiß ich nicht.
Wahrscheinlich habe ich irgendwo einen Gedankenfehler, aber ich bin noch nicht dahinter gekommen, wo genau er liegt.

Viele Grüße,
Thomas

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Elmar Schmidt
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Elmar Schmidt » 11. Apr 2018, 19:16

Hallo Thomas,

Du hast natürlich völlig recht, indem weit entfernte Plättchen durch die Erdkrümmung geneigt werden, überschlagsmäßig sind das etwa 1 Grad auf 110 km. Dort stünden 10 km hohe Cirren über einer flachen Erde etwa 5 Grad hoch, über der gekrümmten sind es dann halt nur noch 4 Grad (bzw. ein bißchen mehr durch refraktive Strahlhebung).

Da die Plättchen zudem vom Beobachter weg kippen, verläuft der reflektierte Strahl entsprechend etwas flacher zu desseb Horizont, so daß ein von so weit entfernt reflektierter HK, dann m.E. am Himmel etwas herabrutschen müßte. Die Sonne ist aber selber 1/2 Grad breit, so daß das nicht ganz so merklich sein dürfte.

In der Tat gibt es wenig Fotos von sehr niedrigen Cirren-HKs. Mir ist nur diese Simulation bekannt und dort sieht man (im mittl. Bild) keine Höhenabweichungen, es dürfte aber wahrscheinlich ohne Tilt berechnet worden sein, z.B. für Diamantstaub.

https://www.atoptics.co.uk/halo/pclow.htm

Alex kann da vielleicht nochmal genauer ran gehen; er hat ja beim ZHB glaube auch (azimutabhängige) Höhenabweichungen berechnet, wobei sich die Effekte dort infolge von Brechung und schrägen Kristalldurchgang nach meiner Erinnerung etwas anders und auch azimutabhängig gestalteten.

Gruß, Elmar

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Thomas Klein
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Thomas Klein » 11. Apr 2018, 19:32

Hallo Elmar,

danke für die Antwort! Dann ist an meinem Gedanken also doch ein fünkchen Wahrheit dran. Mir ging der Gedanke einfach nicht mehr aus dem Kopf und ich habe noch nie von einer Horizontalkreisasenkung oder dergleichem gehört. Deshalb wollte ich jetzt einfach mal nachfragen, in der Hoffnung, dass mir einer von euch helfen kann. Alex kann dazu bestimmt auch was schreiben, wenn er denn mal ein paar Minuten Zeit hat.

Viele Grüße,
Thomas

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Elmar Schmidt
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Elmar Schmidt » 11. Apr 2018, 19:48

Hallo,

meine Absenkungsüberlegung gilt so nur im Anthelium, also ggü. der Sonne. Zur Sonne hin müßte der HK dann wieder genau ihre Höhe haben, weil die Reflexe (soweit es äußere sind) dann sozusagen seitlich an den Kristallen erfolgen. Also wage ich einfach mal den Aufschlag, daß ein tiefer und weiter HK nur von der Sonne weg etwas schräg nach unten hängen müßte, aber wie gesagt, vielleicht nur um 1 Grad. Doch komme auch ich bei so Raumgeometrien schwer ins Grübeln. Erschwerend sind zudem noch die inneren und Mehrfachreflexe beim HK. Besser, wenn man es rechnen könnte.

Gruß, Elmar

Alexander Haußmann
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Alexander Haußmann » 15. Apr 2018, 13:32

Hallo Thomas und Elmar,

ich hab mir diesen Erdkrümmungseffekt um 2014/15 mal genauer angeschaut, ursprünglich im Zusammenhang mit der Grenzhöhe des ZHB. Ich bin da zum selben Ergebnis gekommen: Gegenüber der Sonne sackt der Horizontalkreis etwas ab. Bei ganz tiefem Sonnenstand (< 5°) reicht er dann sogar gar nicht mehr um den Himmel herum. Aber wie Ihr schon schreibt: Es gibt davon keine Beobachtungen in Cirrus, und für Eisnebel (oder ein Flugzeug dass durch eine Cirruswolke fliegt) gilt diese Überlegung nicht.

Das ist aber auch nicht verwunderlich, denn homogener Cirrus bis zum Horizont würde ja ein riesiges gleichförmiges Wolkenfeld voraussetzen. Das wird wahrscheinlich nie vorkommen, und da man ja immer schräger in die Wolkenschicht schaut, werden alle Ungleichmäßigkeiten noch mehr hervorgehoben (also es wird streifig, oder man sieht schon die "Nachfolgewolken" wie Altrostratus etc.).

Für mehr Einzelheiten müsste ich mich nochmal in meine alten Notizen einlesen. Leider ist es bis auf einen Vortrag in Granada 2016 nicht zu einer Veröffentlichung gekommen. Wenn Ihr wollt kann ich es aber mal vorrechnen...

Viele Grüße,
Alex

Alexander Haußmann
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Alexander Haußmann » 16. Apr 2018, 15:57

Ach so, und ein weiterer Grund für die weniger werdenden Beobachtungen von Horizontalkreisen bei tieferen Sonnenhöhen ist noch, dass die internen Strahlengänge in der Intensität wegbrechen. Durch die Deckfläche rein, "hinten" an einer Prismenfläche reflektiert und durch den Boden raus klappt z.B. bei hohem Sonnenstand gut, weil die interne Reflexion dann total ist. Bei tiefem Sonnenstand wird der Horizontalkreis der Sonne gegenüber schwächer, weil es keine Totalreflexion mehr ist, und das an der Prismenfläche ausfallende Licht lässt für einen anderen Beobachter einen ZZB entstehen.

Für die Positionsverschiebung ist aber extern/intern egal, das kommt immer "übereinander" raus. Bzw. man kann eine invariante Größe definieren, die alle Strahlengänge gemeinsam haben. Das wäre hier eben, dass die Neigung gegen die Vertikale für den einfallenden Strahl die gleiche ist wie für den ausfallenden (immer in Flugrichtung der Photonen gedacht). Das trifft auch auf Nebensonnen zu, und die sind in dem Zusammenhang nichts anderes als interne Horizontalkreisstrahlengänge mit Farbaufspaltung.

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Elmar Schmidt
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Elmar Schmidt » 17. Apr 2018, 10:22

Hallo Alex,

wußt' ich's doch, daß Du darüber Material hast. In Les' Simulation, hier mal wiederholt

https://www.atoptics.co.uk/halo/pclow.htm ,

steht der HK für 5 Grad Sonnenhöhe aber noch ganz gut da, wenngleich im Antheliumsbereich abgeschwächt. Kann mir nun aber nicht vorstellen, warum ein Tilt in der Größenordnung von nur 1 Grad ihn dort "auslöschen" bzw. (ganz?) zum Horizont herunterbiegen könnte.

Ja, das könnte man mal fürs nächste Halotreffen vertiefen. Im übrigen werden die geometrischen Verhältnisse auch für hohen Sonnenstand intensitätsmäßig ungünstig, wie hier anhand des genialen Hutsemekers-Foto erkennbar:

https://www.atoptics.co.uk/halo/pchigh.htm

Wegen der Vielzahl von Kristallen, darunter sicher auch Säulchen, wie auch von Strahlengängen läßt sich wohl nur unter allen möglichen Einschränkungen eine "Optimalhöhe" für Horizontalkreise ermitteln. Gefühlsmäßig (Goldilocks-Prinzip) würde ich sie etwa bei 30 Grad erwarten.

Gruß, Elmar

Alexander Haußmann
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Alexander Haußmann » 21. Apr 2018, 21:41

Hallo Elmar,

in den "normalen" Simulationen ist der Geometrieeffekt der Kugelschale nicht mit berücksichtigt. Die Intensitätsvariation stammt wie beschrieben von den möglichen Strahlengängen.

Bei sehr hohem Sonnenstand vermute ich, dass die zufälligen Tilts den Horizontalkreis stärker stören.

Ich hab die Rechnung für die Kugelschale mal abgetippt und ein paar Bilder gezeichnet, will aber nochmal drüberlesen und dann werd ich die pdf-Datei hochladen.

Viele Grüße,
Alex

Alexander Haußmann
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Alexander Haußmann » 22. Apr 2018, 15:32

Hier gibts die versprochene Mathematik, viel Spaß:

https://www.meteoros.de/download/haussm ... lkreis.pdf

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Thomas Klein
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Thomas Klein » 23. Apr 2018, 07:40

Hallo Alex,

danke für deine Mühe zu meiner Frage! Ich kann deine Rechnungen zumindest zum Teil nachvollziehen, was ich mich bei sowas aber frage, wie kommt man auf solche Lösungsansätze? Ich bin mittlerweile froh, dass ich ein bisschen was von Taylorpolynomen verstehe und Differentialgleichungen lösen kann, aber wie man auf z.B. auf die Näherungslösung der Hyperbel kommt, ist mir ein Rätsel.

Danke und viele Grüße,
Thomas

Alexander Haußmann
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Re: Theoretische Frage zum Horizontalkreis

Beitrag von Alexander Haußmann » 23. Apr 2018, 11:59

Hallo Thomas,

naja das ist so eine Mischung aus Intuition und Rumprobieren bei mir. Bei der Hyperbel z.B. wusste ich, ich brauch eine Funktion, die auf beiden Seiten asymptotisch gegen den Betrag läuft, also Anstieg -1 links und +1 rechts. Da brauch ich die normale Kegelschnitt-Hyperbel nur um 90° zu drehen (also x und y tauschen reicht dafür hier schon), und dann eben probieren, wie gut es passt. D.h. auch mal die zweite Ableitung im Scheitelpunkt ausrechnen und mit dieser arccos(q*cos(h))-Geschichte vergleichen. War dann selber überrascht, wie gut es um den Scheitelpunkt passt.

Ich hab noch einiges mehr gemacht, mit Refraktion, und auch ganze Farbsimulationen für den ZHB. Inzwischen würde ich aber auch gerne einen ähnlichen Ansatz probieren, wie ich 2017 beim AKM-Seminar in Oberwesel für die Schneedeckenhalos und Taubögen gezeigt habe. D.h. Punkte auf dem Cirrusschirm auswählen, dort lokal Sonnenstand und Lichtweg zum Beobachter bestimmen, und aus einem Vorrat an Simulationsdaten für viele Haloarten (aus HaloPoint) bestimmen was ein Beobachter sieht, in Farbe, mit realem Sonnendurchmesser und zufälligen Tilts. Die ebene Schneedecke wird dann durch den gekrümmten Cirrusschirm ersetzt. Na mal sehen, wie ich dazu komme, es liegen auch noch genug Regenbogendaten auf Halde...

Viele Grüße,
Alex

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