Ich möchte euch etwas vorstellen, an dem ich schon im Herbst 2016 angefangen habe zu basteln, das nun endlich in Betrieb ist. Und zwar eine Echtzeit-Berechnung der aktuellen Polarlichtchancen für Deutschland, die auf den Messungen der norwegischen Magnetometer des Tromsø Geophysical Observatory beruhen. Diese Werte sind also wetterunabhängig und, solange die Magnetometer arbeiten, immer verfügbar!
Vielleicht erinnert ihr euch noch an den Spektrografen, den ich damals in Bremerhaven stehen hatte, um das aktuelle Auftreten von PL zu messen? (Leider gibt es den ja aktuell wegen meines beruflichen Wechsels nach Hamburg nicht mehr). Der war dafür auch ganz wichtig, weil der es ermöglichte, die von mir gemessenen Spektrallinienhelligkeiten, mit den von uns allen visuell und fotografisch beobachteten Polarlichthelligkeiten abzugleichen.
Die Spektrallinienhelligkeiten konnte ich wiederum über ein kleines Modell mit den Magnetometerausschlägen in Norwegen in Beziehung setzen. Dadurch ist es nun möglich, aufgrund der Magnetometerausschläge, eine Aussage über das Auftreten von Polarlicht bestimmter Helligkeit in Deutschland zu treffen (die Polarlichthelligkeit bezieht sich dabei auf das rote Polarlicht). Diese Aussage beruht dann also nur noch auf den Magnetometerdaten.
Da ausreichende Magnetometerdaten ab 1999 verfügbar sind, konnte ich das rückwirkend für jede Nacht der letzten 20 Jahre berechnen und mit dem wunderbaren Polarlichtarchiv von Andreas abgleichen. Und es ist wirklich erstaunlich; die von mir berechneten Aktivitätsmaxima stimmen oft bis auf die Minute mit den Aussagen der Beobachter überein. Insofern habe ich inzwischen sehr viel Vertrauen in das von mir gebastelte Modell

Genug Worte. Damit man sich das besser vorstellen kann, hier ein Beispiel für den 17./18.3.2015 (wer erinnert sich?):

(dreieckige Marker: Dämmerungslinien. gelb: Sonnenaufgang/-untergang; bürgerlich, nautisch, schwarz: astronomisch. Außerdem: Mondauf- und -untergang)
Das Diagramm zeigt für jeden Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Polarlicht verschiedener Helligkeitsstufen (fotografisch, schwach visuell, deutlich visuell und hell). In der Summe kann das natürlich maximal 100% sein

Meiner Erfahrung nach sind aber auch schon bei Wahrscheinlichkeiten von 30% die Chancen gut, zumindest fotografisch etwas nachzuweisen. Und das Diagramm gilt natürlich genauso für alles im Bereich 10°Ost plus/minus mehrere Grad.
Wo kann man sich das angucken?
Echtzeitberechnung (2-minütig aktualisiert): https://aurora.mtwetter.de/realtime.php
Berechnet für 5 Breitengrade: 55.5°N, 53.5°N, 51.5°N, 49.5°N und 47.5°N.
Archiv 1999 bis aktuell (nur für 53.5°N): https://aurora.mtwetter.de/probability.php
Ein Hinweis: vor Dezember 2003 sind die Werte potentiell unterschätzt, weil es da noch nicht die südlichste Magnetometergruppe in Norwegen gab. Deren Werte habe ich aus den anderen Stationen interpoliert. Sie ist gerade bei hellen Polarlichtern wichtig, weil dann das Polarlichtoval weit südlich liegen kann.
Beim Durchklicken des Archivs ist festzustellen, dass PL in Deutschland wohl doch noch häufiger auftritt, als man denkt. Oft dauern solche, auch intensive Phasen aber nur 30 bis 60 Minuten. Und dann gibt es da noch das Wetter

Außerdem ist unschön zu sehen, was wir alles verpasst haben, was nicht in Andreas' Archiv dokumentiert ist. Manches, eigentlich helle PL, fand auch noch vor Sonnenuntergang oder nach Sonnenaufgang statt...
Was noch zu tun bleibt: Auf diesen Vorhersagewerten basierend lässt sich natürlich ein neues Warnsystem einrichten. Man müsste nur überlegen: wann wird gewarnt?
Es bleibt also zu hoffen, dass uns deswegen in der jetzigen polarlichtarmen Zeit kein PL entgeht

Viele Grüße,
Michael
ps.: Was wir in den letzten Monaten wohl verpasst haben denn seit 1./2.9.2019 gab es keine Sichtung mehr:
30./31.3.2020:

18./19.3.2020:

6./7.2.2020 (nahezu Vollmond):

27./28.10.2019:

26./27.10.2019:

24./25.10.2019:

27./28.9.2019:

Jüngeres, großes PL, das gar nicht im Archiv ist (Vollmond/Wetter):
7./8.9.2017 (einen Tag später wurden Nachwirkungen beobachtet):

2022-02-12 Edit von Andreas: Ich war mal so frei, die kaputten Links zu ersetzen