Mehr NLC durch Raketenstarts?

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Michael Theusner
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Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von Michael Theusner » 9. Jul 2013, 12:04

Hallo,

vor drei Wochen ist in den Geophysical Research Letters eine Veröffentlichung erschienen, die die deutliche Zunahme an Polaren Mesosphärenwolken (PMC = NLC) mit der gleichzeitigen Zunahme an Raketenstarts im Sommer in Verbindung bringt. Jedenfalls passen die durch die Starts in der oberen Atmosphäre freigesetzten Wassermengen ziemlich genau zu den beobachteten, erhöhten Wassereiskonzentrationen in den PMC.
Unerwartet war ja vor allem die starke Ausbreitung der PMC trotz der jetzt wieder gestiegenen Sonnenaktivität. Die führt nämlich eigentlich zu einer Abnahme der PMC-Häufigkeit. Die jetzt veröffentlichte Studie würde diesen unerwarteten Verlauf der PMC-Häufigkeit gut erklären. Das ist zwar noch kein Beweis für einen phyikalischen Zusammenhang, aber doch ein sehr gutes Indiz: Wir Menschen sind schuld. In dem Fall würde ich einen solchen anthropogenen Effekt aber sehr gut finden :D .

Siskind et al., 2013: Recent observations of high mass density polar mesospheric clouds: A link to space traffic?

Viele Grüße,
Michael

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StefanK
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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von StefanK » 13. Jul 2013, 09:36

Hallo zusammen,

hier ist ein Beitrag von Daniel Fischer, der sich kritisch mit o.g. Paper beschäftigt:
http://skyweek.wordpress.com/2013/07/13 ... juli-2013/ .

Viele Grüße aus Bonn,

Stefan
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wolfgang hamburg
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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von wolfgang hamburg » 13. Jul 2013, 10:23

Moin moin,

dieser Link zu Daniel http://skyweek.wordpress.com/2013/07/12 ... -beweisen/ trifft genauer.

Meine Skepsis zu dieser These habe ich in viewtopic.php?f=2&t=10557#p51084 (Thread zum SPON Artikel) geäußert.
Die schmale Datenbasis bestärkt meine Zweifel. Nicht jede Korrelation verweist auf eine Kausalität.
Physiker sollten das eigentlich wissen!

Grüße wolfgang

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Michael Theusner
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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von Michael Theusner » 13. Jul 2013, 12:46

Hallo,

leider komme ich auch nicht an den Originalartikel heran. Aber wenn schon in der Überschrift ein Fragezeichen hinter "A link to space traffic?" auftaucht, würde ich den Forschern nicht gleich unterstellen, dass sie Kausalität ableiten. Oder hast du den Originalartikel gelesen, Wolfgang, und kannst dazu Genaueres sagen?
Solche Ergebnisse in einer Fachveröffentlichung zusammenzufassen und zur Diskussion zu stellen, ist ja eigentlich ganz normal - so funktioniert Wissenschaft. Dass die Medien da gleich wieder eine definitive Erklärung draus basteln und Forschungsergebnisse nicht richtig wiedergeben, ist ja auch normal - leider.

Zu den nötigen Wassermengen: Vom LASP git es neben den "Daily Daisies" auch die Daten zum aufsummierten Eisgehalt der PMC:
http://lasp.colorado.edu/aim/cips/data/ ... 05_iwc.png
Im Schnitt sind das nördlich von 70°N wohl etwa 100 Gramm = 0,1 kg pro Quadratkilometer. Südlich davon ist so gut wie nichts mehr.
Die Fläche nördlich von 70°N beträgt 15,8 Mio Quadratkilometer (in 85 km Höhe). Insgesamt sind das ca. 1,58 Millionen kg = 1580 Tonnen Wasser. Man braucht für die ganzen PMC=NLC der Nordhalbkugel also nur erstaunlich wenig Wasser, einen Würfel mit knapp 12 Meter Kantenlänge. Das ist gut ein halbes olympisches Schwimmbecken!

Thema Spiegelartikel: Beiträge von Herrn Bojanowski kann man meiner Erfahrung nach so gut wie gleich in die Tonne treten. Beim Thema Klimawandel ist das jedenfalls so - und da kann ich es beurteilen. Das gilt leider sehr oft für journalistische Arbeit, weil denen zumeist auch das nötige Hintergrundwissen fehlt.

Viele Grüße,
Michael

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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von wolfgang hamburg » 13. Jul 2013, 15:44

Moin Michael,

nein den Originalartikel kenne ich nicht. Es wird jedenfalls eine Kausalität unterstellt/vermutet, sonst bräuchte man doch gar nicht diese Überschrift. Oder es ist nur mal wieder ein Artikel der Aufmerksamkeit erzeugen soll? Das ist ja auch schon vorgekommen.

In den Lasp Daten ist nur das feste Wasser erfaßt. Nicht alles Wasser da oben ist fest und Lasp "sieht" weit südliche NLC auch nicht wirklich gut. Jedenfalls sieht man in den "Daily Daisies" kaum Wassereis auf etwa 60°N, dort war aber welches. Wir haben sie als NLC gesehen. Das letzte größere Display am 3./4.Juni hat Lasp AIM jedenfalls nicht gesehen. Man kann da leider nur ziemlich grob Daten herunterladen. Auf den "Daily Daisies" sieht man vom 2. bis 5.Juni nichts südlicher als 60°N und nur am 3. etwas schwaches bei 63-66°N über Finnland. Am 3. muss aber viel weiter südlich Wassereis gewesen sein, sah jedenfalls so aus: http://wha.mburg.org/wh/NLC/20130603/
Man sieht die "partielle Blindheit" auch auf den Movies, z.Bsp. für 2012:
http://lasp.colorado.edu/aim/download_f ... on_movies/

Wieviele Startspuren von Raketenstarts gehen denn nördl. als 70°? Das dürften sehr wenige sein. Die meisten davon sind wohl auch SLBM. Auch die meisten Spaceshuttles flogen nicht so hohe Inklinationen. Die letzten Flüge gingen meist zur ISS.
Gibt es denn überhaupt Daten, die einen Massetransport über so viele Breitengrade in diesen Höhenschichten zeigen? Wenn bei Starts am Morgen die Wolke nach Norden zieht und aber bei Starts am Abend nach Süden, wird das Wasser auch von den Morgenstarts nicht weit kommen.

Mir klingt das alles zu konstruiert und zu komplex. Das es NLC von Raketenstarts gibt bezweifele ich nicht. Aber das Raketenstarts global zu signifikant mehr NLC führen, halte ich für sehr fraglich. Der schwache Sonnenzyklus würde ja als Erklärung für mehr NLC als sonst im Solarmax völlig ausreichen, falls man zwischen Sonnenaktivität und NLC Häufigkeit Zusammenhänge annimmt.

Grüße wolfgang

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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von StefanK » 13. Jul 2013, 17:43

Hallo zusammen,

unabhängig von den Schwankungen der NLC-Ausbildung, die negativ mit dem Sonnefleckenzyklus korreliert ist, gibt es offenbar eine leichte langfristige Zunahme, zumindest in der Albedo der NLCs, welche ein Ausdruck der Dichte dieser Wolken ist: http://earthobservatory.nasa.gov/IOTD/view.php?id=48892 . Durch industrielle und landwirtschaftliche Aktivitäten ist seit dem 19. Jh. der Methangehalt in der Atmosphäre* deutlich angestiegen. Da Methan durch Sauerstoff zu Wasser oxidiert wird, könnte die Luftfeuchtigkeit im Bereich der Mesopause zugenommen haben, was wiederum die NLC-Bildung begünstigen würde. Dass NLCs überhaupt erst seit dem Ende des 19. Jh. beobachtet werden, deutet ebenfalls auf einen Zusammenhang mit industriellen Entwicklung hin.
* Aufgrund der vollständigen durchmischung der Gase vom Erdboden bis in die MLT-Region ("Homosphäre" gelangt das Methan auch in den Bereich der Mesopause.

Viele Grüße aus Bonn,

Stefan
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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von wolfgang hamburg » 14. Jul 2013, 09:37

Moin moin,

die "partielle Blindheit"(*) auf den "daily daisies" ist erklärbar. Die Wassereisdetektion benötigt Sonnenlicht. Erfolgt der Überflug bei fehlenden bzw. flachen Lichteinfall werden die Daten gar nicht erfaßt bzw. nicht für die Bildgenerierung benutzt. Die Datenerfassung des CIPS Instruments beginnt auch immer erst am Terminator:
Aus "Cloud Imaging and Particle Size (CIPS) Instrument Overview"(http://lasp.colorado.edu/aim/cips/data/ ... erview.pdf)
"CIPS data products include measurements of cloud parameters (albedo, particle radius, ice water content) along each orbit strip, with 25 km2 spatial resolution. CIPS images are acquired simultaneously in each camera every 43 seconds in the summer hemisphere between the terminator and a dayside latitude of about 40 degrees. With this cadence, many locations are viewed at as many as seven different scattering angles, providing a direct measurement of the cloud scattering phase function (cloud albedo vs. scattering angle), from which the particle radius is derived. For users interested in a more in-depth and independent look at particle characteristics, these measured phase functions at each location are also available. The near-polar orbit causes the observation swaths to overlap at latitudes higher than about 70 degrees, so that nearly the entire polar cap is mapped with 15-orbit per day coverage."
Für Breitengrade unter 65° gibt es ja nur einen Überfug pro Tag. Damit stehen die Chancen sehr gut, das für diese Breitengrade gar keine Daten erfaßt werden bzw. die Daten nicht ins Bild gelangen. Das kann man hier(http://lasp.colorado.edu/aim/cips/data/ ... level2.pdf) und hier(http://lasp.colorado.edu/aim/cips/data/ ... evel3a.pdf) nachlesen.
Die Bilder "daily daisies" täuschen damit eine Symmetrie vor, die anhand der dargestellten Daten nicht existiert. Unschön, da es miß weisend ist. Neben der gestrichelten Linie(nördlich(NH) bzw. südlich(SH) davon ist Dauertag), sollte noch kenntlich gemacht werden, wo es überhaupt Daten zur Darstellung geben kann bzw. gibt. Man kann also in den Bildern bei Breitengraden südlich(NH) der gestrichelten Linie nicht unterscheiden zwischen "es gibt keine PMC" und "es gibt keine Daten". Noch besser wäre es, wenn für jeden Bereich sichtbar wäre von wievielen Überflügen Daten in die Darstellung eingeflossen sind.
Das ist, neben der späten Verfügbarkeit(ca. 1 Woche später), für mich ein weiterer Mangel. Bilder sagen zwar mehr als tausend Worte, unschön wenn sie besser 1500 Worte sagen sollten.
Alle PDFs werden hier(http://lasp.colorado.edu/aim/documentation.html) verlinkt .

Grüße wolfgang
(*) schlechte bzw. keine PMC Dedektion für Breitengrade < 65°

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Re: Mehr NLC durch Raketenstarts?

Beitrag von Elmar Schmidt » 6. Aug 2013, 11:28

Hallo,

hier meine "zehn Cent" aus dem Keynote-Vortrag des hiesigen NLC-Experten Richard Collins, auf der Light & Color in Nature Conference.

Das gesamte Wasser in den nördlichen NLCs sind angeblich nur 200 Tonnen (kommt etwa auf einige Angaben der vorigen Beiträge hin), während EIN Shuttlestart 350 Tonnen Wasser injizierte und einen guten Teil davon in der Fast-Horizontalflugphase zw. 100 und 110 km Höhe. Von daher sind Raumfahrteffekte zumindest diskutabel.

Beste Grüße aus Fairbanks, Alaska

Elmar



PS: wir sind zwar im "sweet spot" (einem der beiden jährl. Beobachtungsfenster 1-2 Std. um Mitternacht) der hiesigen NLC-Beobachtung, Wetter war tagsüber auch sehr gut, doch zogen am 5./6.8. nachts zu viel trop. Wolken auf. Und richtig dunkel wird's bei Sonnentiefe 9 Grad auch nicht wirklich.

Nachtrag: eine Nacht später hatte Alex Glück und sah NLCs in Fairbanks

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